«Vaterland», Dienstag, 29. April 1913, 2. Blatt, Seite 1
E. Heute Sonntag den 27. April feierte das Kollegium ein herrliches Fest, ein Fest erhabenster Kunst.
Hat das weltberühmte Kollegium nach der erschütternden Brandkatastrophe in seinem vortrefflich eingerichteten stolzen Neubau in erstaunlich kurzer Zeit seine Auferstehung gefeiert, – der «Betrieb» war zwar nur zwei Wochen eingestellt – und hat auch schon die neue prächtige Kirche bis auf das Altargemälde ihren Schmuck erhalten, so fehlte bis jetzt noch das letzte, nicht unbedeutende Werk, – eine neue Orgel; denn die alte wurde bekanntlich in jener Unglücksnacht vollständig zerstört.
Nun ist auch sie wieder erstanden und wie der ganze Kollegiumbau viel schöner, herrlicher. Am Samstag hat die Expertise durch die beiden geistlichen Musikautoritäten, HH. P. Ambros Schnyder vom Stift Engelberg, und P. Josef Staub vom Stift Einsiedeln stattgefunden. Einem speziellen Bericht der Expertise vorgreifend, dürfen wir Jhrem Blatt mitteilen, daß die Prüfung ein höchst befriedigendes Resultat ergeben hat und ihrem Schöpfer nur zur größten Ehre gereicht.
Diese neue Orgel ist als das 400. Opus im Jubiläumsjahr ihres 75-jährigen Bestehens von der Orgelbaufirma Goll u Cie. in Luzern geschaffen worden. Sie ist mit allen Errungenschaften der Neuzeit ausgestattet und als ein Kunstwerk ersten Ranges gewertet. Sie besitzt drei Manuale und Pedal, auf welchen sich die 35 effektiven und 4 Transmissionsregister folgendermaßen verteilen: Je 10 effektive auf dem I., II. und III. Manual und 5 im Pedal; Transmissionsregister je 1 im I. und III. Manual und 2 im Pedal, mit total 2548 Pfeifen.
Die Disposition, die als mustergültig bezeichnet wird, hat der in der Technik der Erfindungskunst vielgestaltiger Kombinationen als Autorität wohl bekannte HHr. Dompropst Walther von Solothurn entworfen.
Der Spieltisch ist in Anlage und Form an und für sich ein Kunstwerk, alles ist in übersichtlicher, praktischer Weise angeordnet. 19 Kopplungen, 2 freie Kombinationen, Rollschweller, Registerchöre etc. etc., total 226 diverse Register- und Hilfszüge. – Für das II. und III. Manual ist je ein Echokasten vorhanden, die beide ganz außergewöhnlich intensiv wirken.
Die Jntonation ist in künstlerisch vollendeter Weise nach neuester Methode ausgeführt, die kirchlich würdige, blühend frische Klangfarben ergibt. Die Vorzüge gipfeln in frappanter Charakteristik, hoher Mischungsmöglichkeit und Stabilität des Tones, verbunden mit Weichheit, Sättigung, Wohlklang und feierlicher Kraft des Vollwerkes.
Von den Registern, die sich durch große Schönheit auszeichnen, müssen folgende als interessante Neuerungen hervorgehoben werden: Krummhorn 8’ mit eigenartig appartem Horncharakter; Viole d’Orchestre 8’ schneidiger Streicher von bestrickender Schönheit; Mixtur 2 ⅔’ [sic], welche als Füll- wie als Soloregister in gleicher Weise qualifiziert ist, Harmonia aetherea 2 ⅔’, mit Streichermensur, sehr wirksames, glanzvolles Mixturregister.
Die Orgel wird von einer Elektro-Ventilatorengruppe neuester Konstruktion gespeist, die bei 1.6 PS Kraftverbrauch (für die volle Orgel) 37 Kubikmeter Wind mit 150 Millimeter Druck per Minute abgibt. Das Gebläse samt drei großen Regulierbälgen kann auch vermittelst Tretwerkes bedient werden. Als Kuriosum sei erwähnt, daß 5 Kilometer Bleiröhren nötig waren, um die Verbindung von Spieltisch und Pfeifen herzustellen.
Jst die Orgel wegen ihrer äußeren Form schon eine Sehenswürdigkeit, so ist sie es nicht weniger betr. Plazierung und Anlage. Das in zwei Teilen gebaute Werk ist an die Turmmauern aufgehängt. Die Orgelbühne ist deshalb für Sänger und Orchester völlig frei und beleuchtet vom großen Bogenfenster über dem Kirchenportal.
(Den Schluß des Berichtes über die Kollaudationsfeier legen wir für morgen zurück. D. Red.)
«Vaterland», Mittwoch, 30. April 1913, 3. Blatt, Seite 1
E. Die Kollaudationsfeier am Sonntag brachte ungeahnte Kunstgenüsse. Hat doch HHr. P. Ambros daran einen hervorragenden Anteil genommen! Aber auch der Kollegiumschor hat Leistungen, die höchsten Ruhmes würdig sind und zur Bewunderung herausforderten. (Herr P. Josef mußte leider schon Samstag wieder abreisen.)
Während des Hochamtes wurde die harmonieschöne Festmesse in B für gemischten Chor mit Orchester und Orgel von Weirich meisterhaft aufgeführt. Was doch Herr Musikdirektor Krieg aus diesen jugendlichen, ungebrochenen und gebrochenen Stimmen zu machen versteht. Das Orchester zeichnete sich durch Reinheit aus, und erst das Orgelspiel in vollendetem künstlerischem Anschmiegen an den bravourmäßigen dynamischen Vortrag des Chores und Orchesters. Daß wir so wenige Ambrosiusse besitzen, dagegen so viele Organisten, die mit ihrem unmusikalischen Orgelspiel die Kirchenmusik verunstalten und banalisieren. Diese ausdrucksvolle innige Kirchenmusik hat uns im Jnnersten ergriffen, wir haben Schöneres noch kaum irgendwo gehört.
Für den Nachmittag war eine kirchliche Festaufführung mit ausgewählten Nummern hervorragender Meister vorbereitet, an der auch die Bevölkerung von Schwyz zahlreich teilnahm.
HHr. P. Ambros hatte die Liebenswürdigkeit, das neue Orgelwerk mit all seinen Vorzügen und Schönheiten vorzuführen. Hier konnten wir den hervorragenden Künstler, den unübertroffenen Meister des Orgelspiels in seiner wahren Größe erkennen. Und wie wenig macht sich der bescheidene Ordensmann aus seiner Kunst. Das Programm wechselte mit Orgelvorträgen und Gesängen. Den hübschen Chören sei wiederum volles Lob gespendet. Beim Mittagsmahl widmete der HHr. Rektor Prälat Dr. Huber den drei Orgel-Kunstherren HHr. P. Ambros, dem Orgelbauer Herrn Goll und dem Jntonator, Herrn Drechsler warme treffliche Worte der Anerkennung.
Es war ein Tag unvergeßlicher Eindrücke, dieser Festtag im Kollegium in Schwyz. Wir hätten nur eines gewünscht, die Eltern all dieser vielen Zöglinge hätten davon Zeuge sein können.
(Abschrift: Bernhard Hörler)